Manfred Prenzel: Ein ehrlicher Blick auf große Probleme der Lehrkräftebildung

"Was fatal ist, wenn eben dann Leute im Studium bleiben, die sich aus irgendwelchen anderen Gründen durchlavieren. Da müssen wir wirklich Qualitätskontrollen haben."

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Manfred Prenzel: Ein ehrlicher Blick auf große Probleme der Lehrkräftebildung (Video)
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Manfred Prenzel ist Professor für Empirische Bildungsforschung an der TU München und der Universität Wien. Er war der Vorsitzende des Auswahlgremiums "Qualitätsoffensive Lehrerbildung". Er wirft in diesem Interview die Frage auf, wie es gelingen kann, Lehrkräfte für die Schulen zu gewinnen, die dafür auch wirklich geeignet sind.

Gerade in Zeiten, in denen es einen allgemeinen Lehrermangel gibt, müsse man darauf achten, dass fehlplatzierte Lehrkräfte die Ausnahmen bleiben. Denn in der Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern könne man sich auch nicht leisten, dass ungeeignete Personen Patientinnen und Patienten behandelten. Prenzel gibt auch eine Einschätzung des Masterplans "Lehrkräftebildung neu gestalten" ab und erläutert, wofür sich die vom Stifterverband ins Leben gerufene Allianz für Lehrkräfte einsetzen sollte.

Interview und Videoproduktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin

 

Transkript des Videos

Wir haben auch noch ein paar Strukturprobleme, die man eigentlich, wenn man es so will, nicht aushalten möchte, dass eben möglicherweise zehn oder mehr Prozent von Lehrkräften in Schulen unterrichten, und wir sagen, eigentlich können wir es den Kindern nicht zumuten. Und da ist für mich immer ein bisschen irritierend: Wie verantwortlich fühlt sich letztlich dann die Bildungsadministration oder die Politik, mit solchen Problemlagen umzugehen?

Es ist ja an sich nicht falsch, wenn im Verlauf eines Lehramtsstudiums sich Kolleginnen verabschieden von der Idee, zukünftig Lehrerin zu werden. Die Frage ist, ob es die Richtigen sind und ob wir die richtigen Mentorinnen haben, die dann jetzt eben sagen: "Ja, es ist toll, aber es gibt vielleicht für dich eine andere berufliche Perspektive, wenn du nicht als Mathematiklehrerin arbeitest, sondern in der Versicherung arbeitest." Also, diese Ehrlichkeit brauchen wir eigentlich auch im Studium. Und wir haben sie ansatzweise. Wir haben im Augenblick, glaube ich, auch nicht die Betreuungsdichte, dass wir eine gute Begleitung hätten, die dazu beiträgt, dass man eben sagt, nach zwei, drei Semestern zeichnet sich ab, dass für dich diese Perspektive, Lehrerin oder Lehrer wahrscheinlich sehr problematisch wird. Also, insofern wäre, glaube ich, auch ein Begleiten, um aus dem Studium rauszugehen, sinnvoll, wenn es kriterienorientiert ist. Was fatal ist, wenn eben dann Leute im Studium bleiben, die aus irgendwelchen anderen Gründen sich durchlavieren und eben erfolgreich werden. Da müssen wir, glaube ich, wirklich Qualitätskontrollen haben. Insofern, finde ich, darf ein Lehramtsstudium schon auch ein Stück selektiv sein oder muss es sogar. Aber immer mit einer professionellen Beratung und Begleitung, nicht irgendwie nach Belieben aussortieren. Und es gab ja mal ansatzweise, das war auch in der TU München, was wir eine Zeitlang gemacht hatten, eben Auswahlgespräche mit Studierenden zu führen, halte ich auch für eine ganz sinnvolle Geschichte. Aber da haben wir natürlich jetzt immer diese Mangeldiskussion, die dagegen wirkt, weil man sagt, ja, eigentlich ist der Mangel so groß, dass Leute als Quereinsteigerinnen, als irgendwie Personen, die von anderen Ausbildungswegen herkommen, eben auch in irgendeiner Art und Weise dann eine Möglichkeit haben, im zukünftigen Berufsfeld Fuß zu fassen. Da, glaube ich, ist eben auch ein Punkt, wo man wirklich sehr gut aufpassen muss, dass man aus der Not heraus eben nicht bereit ist, hier Standards zu reduzieren, sondern eben ein Anliegen hat, zu sagen, die Leute, die das mit Engagement machen, die das auch von der Persönlichkeit her können, die fachlich sehr gut sind, die die Routinen beherrschen, herzlich willkommen, aber andere lieber nicht.

Was man vielleicht ein bisschen sehen muss, dass wir in Deutschland eben auch schon vor 25 Jahren zum Beispiel mit der ersten PISA-Studie zusammen Diskussionen über die Lehrkräftebildung hatten. Es gab eine Initiative, damals auch war die Diskussion, wie schaut ein geregelter Ausstieg aus dem Lehrberuf aus, nämlich ausgehend von der Beobachtung, das war eine Zahl, die auch von der Amtschefseite der KMK berichtet würde, mindestens 10 Prozent der tätigen Lehrkräfte eigentlich nicht berufsfähig sind. Also die Frage, was kann man eben tun, damit Leute, die eigentlich von ihrer Situation, in der sie dann mal irgendwann mal stehen, nicht mehr weiter in Klassen sind. Hier sehen Sie, ist nichts passiert. Also, das ist so ein Punkt, wo ich eben denke, wir haben nach wie vor das Problem, zum Teil wird es als Wanderpokal bezeichnet, dass Lehrkräfte an Schulen unterrichten, die die Schulen nicht länger in einer Klasse als maximal ein Jahr halten wollen, weil sie wissen, dass es hochgradig schwierig wird mit den Schülerinnen und Schülern, mit den Eltern, weil das nicht funktioniert. Das ist so ein bisschen ein Beispiel, an dem mir immer wieder deutlich wird die Frage: Würde man sich das im Medizinbereich erlauben? Da könnte man sagen: Ja, da haben wir Nischen, da können wir die vielleicht verstecken, oder es gibt Leute, die werden dann eben, ja, rücken in technische Bereiche, wo sie nicht mit Patienten zu tun haben. Also, hier haben wir im Schulbereich immer noch so eine Art Toleranz, die nicht unbedingt getrieben ist davon, das Beste für die Kinder zu wollen oder für die Jugendlichen. Das ist für mich so ein bisschen ein Beispiel, wo dann Diskussionen eben ganz gerne in die Richtung gehen: An bestimmten Stellen müssen wir richtig viel tun, aber an anderen Stellen, wo wir deutliche Probleme haben, passiert relativ wenig.

In der Medizin ist natürlich ein wichtiger Punkt gewesen, zu sagen: Wir können ja eigentlich nicht verantworten, wenn wir hier hochselektiert über Numerus clausus Leute über viele, viele Jahre in der Medizin ausbilden, und dann kommen die in eine Situation, in der sie als Ärztin, als Arzt gefordert werden und sie scheitern. Was in der Medizin oft augenfällig ist, dass man in den Kliniken festgestellt hat: Wir haben zwar viel gelehrt und die Studierenden waren auch engagiert im Studium, aber wenn es jetzt darauf ankommt, sind sie nicht in der Lage, jemanden zu reanimieren, eine Diagnose zu treffen, die einigermaßen zutrifft und so weiter. Also, diese Rückmeldung war in der Medizin sehr wichtig, zu sagen, wir sehen eigentlich immer wieder, an welchen Stellen unsere Ausbildungs- oder Studienkonzepte zu kurz greifen. Und da sehe ich bei uns in der Lehrerinnenbildung ein bisschen eine andere Situation, dass wir weniger solche Rückmeldesituationen haben, die dann auch so evident werden, dass man sagen kann: Leute, wir können das nicht weiter verantworten, dass wir Lehrkräfte versuchen im Studium auszubilden, die mit dem Bachelor, mit dem Master nicht in der Lage sind, bestimmte Dinge wirklich so zu tun, wie man es erwarten würde. Es fängt an von Hausaufgaben zu stellen, die wirklich produktiv sind, ein Unterrichtsgespräch führen, ein Unterrichtskonzept über mehrere Stunden aufzubauen, was auch immer.

Dieser Begriff Masterplan hier für die Lehrkräftebildung hat sich ein bisschen angelehnt an einen Masterplan, der für die Medizinausbildung seit einiger Zeit von den Medizinern vorangetrieben wurde. Wenn man das als Beispiel nimmt, kann man eben sehen, dass dort auch sehr stark die unterschiedlichen Gruppen innerhalb der Medizin, also auch die Fachgesellschaften, Anstrengungen unternommen haben, um zu sagen, wie können wir gemeinsam das Studium so reformieren, dass die Studierenden eine gute Chance haben, im Verlauf des Studiums frühzeitig mit Praxis und praktischen Herausforderungen konfrontiert zu werden, die aber im Verlauf des Studiums systematisch zu erweitern, sie auch immer zu begleiten, vorzubereiten, so dass ein systematischer Kompetenzaufbau passiert. Und da haben die auch viel Arbeit reingesteckt, nationale Kompetenzlernzielkataloge formuliert. Man hat die Prüfungskonzepte verändert. Und diese Akteursfähigkeit würde ich dem Bereich der Lehrkräfte eher absprechen. Die Mediziner sind ja ganz anders handlungsfähig als es die sehr verteilten Kollegen sind, die in den Schulen sitzen, überall an kleinen Orten, die an den Universitäten sitzen, die auch zum Teil sehr unterschiedliche Interessen vertreten, die gewerkschaftlich orientiert sind, die anderen, die mehr von inhaltlichen Standards orientiert sind. Also, hier haben wir sehr viel größere Diversität in Überzeugungen, die wir, glaube ich, versuchen müssten, mehr zusammenzubringen, auch wieder unter Qualitätskriterien. Was ist wirklich tragfähig, was ist evidenzbasiert, was ist Bauchgefühl? Was ist das, was auch wieder bei der Schule, finde ich, für das Lernen der Kinder und Jugendlichen von Bedeutung ist und nicht für das Selbstbewusstsein der Lehrkräfte?

Wenn man bestimmte Ziele, die jetzt in dem SWK-Gutachten angesprochen werden, ernst nimmt, wenn man also wirklich eine forschungsbasierte und professionsorientierte Lehrkräftebildung umsetzen will, dann wird man auch bei der Frage landen: Stimmen die Ressourcen, die wir für die Lehrkräftebildung an den Universitäten haben? Und in der Hinsicht glaube ich, dass wir in der nächsten Zeit einige Kontroversen haben werden, die in die Richtung gehen, mehr Mittel einzufordern, die dazu beitragen, dass man tatsächlich Veranstaltungsformen und Formate anbieten kann, die professionsorientiert sind. Also, das geht dann eben nicht mehr mit Großvorlesungen mit mehreren hundert Studierenden, sondern brauchen Sie kleinere Formate ,und davon sind ziemlich viel. Eine intensive Praktikumsbetreuung, Vorbereitung, Begleitung, Nachbereitung, auch das sind bestimmte Dinge, die im derzeitigen Finanzierungskonzept für die Lehrkräftebildung wirklich nicht angemessen vorgesehen sind. Also, in der Hinsicht, glaube ich, muss man davon ausgehen, dass eben auch Allianzen sich darum bemühen müssten, gewissen Einfluss auf die Politik auszuüben, dass eben auch die Finanzierungsmodelle für die Lehrkräftebildung an den Universitäten neu berechnet werden.