MINT-Fachkräfte · Zukunftsmission Bildung

„Halbe Sachen mag ich nicht“

Emna Jaoua
Emna Jaoua (Foto: privat)
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Frau Jaoua, erinnern Sie sich noch an den Moment, als Sie zum ersten Mal nach Passau gekommen sind?
Oh ja – das war nämlich alles ganz schön knapp! Ich bin frühmorgens in der Stadt angekommen, und zwar an dem Tag, als das Studium angefangen hat. Es gab erst Probleme mit dem Visum, aber in letzter Minute hat noch alles geklappt.

Sie kommen aus Tunesien und hatten dort bereits begonnen zu studieren. Wie verlief Ihr Neustart in Deutschland?
Die Begrüßung an der Universität war eine großartige Erfahrung – und das sage ich ohne jede Übertreibung. Es gab gleich am Anfang eine große Willkommensveranstaltung für uns ausländische Studierende, wir haben die Uni kennengelernt und auch die Abläufe, die in vielem ganz anders sind, als ich das aus Tunesien kannte. In Passau gibt es ein Programm namens iStudi, das sich genau auf diese Beratung von ausländischen Studierenden fokussiert – das war eine gewaltige Hilfe. Wir haben am ersten Tag die Ansprechpartner kennengelernt, auf die wir bei offenen Fragen zugehen konnten. Und auch meine größte Sorge wurde mir genommen.

Welche war das?
Ich war mir nicht sicher, ob ich das Studium finanziell würde stemmen können. Und die Universität hat mir gleich zu Beginn einen tollen Job bei einer IT-Firma vermittelt, bei der ich als Frontend-Developer gearbeitet habe. Da konnte ich erstens gleich in meinem Fach Praxiserfahrungen sammeln und zweitens habe ich die Arbeitswelt in Deutschland kennengelernt.
 

„Dass ich nicht nur zum Studium kommen würde, hatte ich von Anfang an gehofft: Ich mag es, neue Möglichkeiten auszuprobieren und dann auch voll auszuschöpfen.“

Emna Jaoua
Emna Jaoua (Foto: privat)
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Emna Jaoua
IT-Spezialistin aus Düsseldorf

Ist die so viel anders als in Tunesien?
Mich hat am meisten überrascht, wie fokussiert die Deutschen sind. Das konnte ich damals im Büro beobachten: Sie haben sich für einige Stunden konzentriert in ein Problem reingebissen und sich dazwischen nicht ablenken lassen. Mir hat das unheimlich gut gefallen – genauso wie vermeintliche Kleinigkeiten, dass man also zusammen zum Mittagessen geht, dass es gemeinsame Events in der Firma gibt.

Hat das eine Rolle gespielt für Ihre Entscheidung, nach dem Studium in Deutschland zu bleiben?
(lacht) Da kam sicher auch meine Dickköpfigkeit dazu: Ich mag es nicht, mit einer Sache anzufangen und sie dann einfach wieder sein zu lassen. Aber die guten Erfahrungen, die ich gesammelt habe – natürlich haben die mich auf meinem Weg bestärkt.

Sie haben Ihren Bachelor in Tunis gemacht. Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, nach Deutschland zu gehen?
Für meine Abschlussarbeit war ich an einem fünfmonatigen Praxisprojekt beteiligt, und zwar an der Universität Leipzig. Dorthin unterhält meine tunesische Hochschule eine Partnerschaft. Das war mein erster Kontakt mit Deutschland. Und den fand ich so gut, dass ich mich für ein Masterstudium beworben habe.

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Wonach haben Sie genau gesucht?
Es musste ein englischsprachiges Programm sein, weil ich damals noch kein Wort Deutsch gesprochen habe. Erst während des Studiums habe ich mich mit der Sprache beschäftigt – deshalb war es gut, dass es an der Uni Deutschkurse gegeben hat. Und inhaltlich hat es mich interessiert, tiefer in Themen der künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens einzutauchen. Das hat bestens gepasst, als ich dann die Nachricht bekam, dass ich an der Universität in Passau genommen wurde: Dort gibt es ein englischsprachiges Masterstudium. 

Konnten Sie sich damals schon vorstellen, auch nach dem Studium in Deutschland zu bleiben?
Um ehrlich zu sein: Ich war in erster Linie neugierig auf Europa. Dass es in Deutschland geklappt hat, war zunächst einmal ein Zufall. Aber dass ich nicht nur zum Studium kommen würde, hatte ich von Anfang an gehofft: Ich mag es, neue Möglichkeiten auszuprobieren und dann auch voll auszuschöpfen. Mir war klar, dass ich das Studium abschließen werde, dass ich Deutsch lernen werde – da wollte ich schon auch länger in Deutschland bleiben. Halbe Sachen mag ich nicht.

Wie war es, nach dem Abschluss eine Stelle zu suchen?
Meine Firma in Passau, bei der ich als Studentin gearbeitet habe, hätte mich gern behalten. Da wäre der Einstieg also am einfachsten gewesen. Aber aus privaten Gründen wollte ich in Richtung Düsseldorf ziehen und habe mich dort beworben. Eine Stelle zu finden, war gar nicht das Problem. Schwierig war es eher mit der Bürokratie.

Wieso denn das?
Da ging es um meine Aufenthaltsgenehmigung: Ich hatte einen Arbeitsvertrag für eine gut bezahlte Vollzeitstelle in Düsseldorf. Damit bin ich in Passau zum Ausländeramt gegangen, aber die haben erklärt, sie seien nicht zuständig, ich solle mich an die Düsseldorfer Behörde wenden. Als ich dann dort war, haben sie gesagt, sie könnten mir leider nicht weiterhelfen, weil mein Wohnsitz noch in Passau war.

Das klingt schier unglaublich!
Und gut gegangen ist es, weil ich dann in Passau an einen sehr hilfsbereiten Mitarbeiter in der Ausländerbehörde geraten bin, der die Hindernisse umschifft hat. Aber bis es so weit war, bin ich richtig ins Schwitzen geraten.

Haben Sie als Konsequenz überlegt, in ein anderes Land zu gehen? Informatiker sind schließlich überall gefragt.
Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass es anderswo so viel einfach gewesen wäre, falls Sie das meinen (lacht). 

Sind Sie noch in Kontakt mit anderen ausländischen Studierenden, die mit Ihnen gemeinsam das Informatikstudium absolviert haben?
Na klar! Fast alle von ihnen sind in Deutschland geblieben, die meisten arbeiten in großen Städten. Ich kenne dadurch jetzt Leute in München, Hamburg und Berlin – und so komme ich auch viel in Deutschland herum.

 

Zur Person:
Emna Jaoua ist Informatikerin aus Tunesien. Nach einem Bachelorstudium in Tunis hat sie 2019 ihr Masterstudium in Passau abgeschlossen, seitdem arbeitet sie bei einer großen IT-Firma in Düsseldorf. 

Cover Publikation
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Zwischen Willkommen und Wirklichkeit

Neue Studie des Stifterverbandes

Der Stifterverband setzt sich dafür ein, den Übergang der internationalen MINT-Absolventen auf den deutschen Arbeitsmarkt zu verbessern. Die Allianz für MINT-Fachkräfte ist ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsmission Bildung – der großen Initiative, mit der der Stifterverband ein Bildungssystem für eine Welt im Wandel gestalten will. In der aktuellen Studie Zwischen Willkommen und Wirklichkeit hat der Stifterverband Fakten und Hintergründe zur Lage der internationalen MINT-Absolventen und wie deren Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt besser gelingen kann, zusammengestellt.

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