Meinung

MINT-Fachkräfte

Recruiting ist das neue Sales

Eine Abrissbirne schlägt ein Loch in einer Mauer - symbolisch für Hürden abbauen, um MINT-Fachkräfte in Deutschland zu halten.
Illustration: Bernd Struckmeyer
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Die Innovationskraft der deutschen Unternehmen ist entscheidend für die Zukunft unseres Landes. Dafür brauchen sie gut ausgebildete und vor allem leistungsstarke Fachkräfte aus Fächern wie Informatik, Statistik, Mathematik, Physik, Ingenieurwissenschaften und Ökonometrie. Doch wie gelingt es, diese zu finden und wie ist die aktuelle Lage? Dazu ein paar Vorbemerkungen: 

Deutschland bildet hervorragende Fachkräfte in allen Zukunftsbereichen aus. Das Abitur ist in vielen Bundesländern exzellent und auch das Niveau der deutschen Bachelorabsolventen ist hoch. Doch in den weiteren Ausbildungsstufen gibt es Verbesserungsbedarf: Masterprogramme in der Schweiz, dem Vereinigten Königreich sind häufig deutlich leistungsorientierter, Promotionsprogramme in den USA, in der Schweiz und im Vereinigten Königreich erlauben oftmals eine viel stärkere Fokussierung auf die Forschung. 

Deutschland ist ein attraktives Land mit hoher Lebensqualität und hat bei den Visumsregelungen für ausländische Fachkräfte lobenswerte Fortschritte gemacht. Unsere Willkommenskultur ist noch ausbaufähig und insbesondere das Anlocken von äußerst hochqualifizierten Einwanderern (Top-Absolventen der besten 50 Universitäten der Welt) kann in noch größerem Maße verfolgt werden, weil wir gleichzeitig einen bedeutenden Teil unserer Top-Absolventen ans Ausland verlieren.

Unternehmen können in Deutschland hervorragende Fachkräfte gewinnen und großartige F&E-Teams aufbauen. Es gibt viele junge Leute, die Leistung zeigen und Wirkung erzielen wollen. Es gibt eine große Anzahl von Deutschen, die sich nach Jahren an einer ausländischen Spitzenuniversität vorstellen könnten, wieder zurück in ihre Heimat zu gehen und Arbeitgeber suchen, die ihnen das ermöglichen.

Ausländische Technologie- und Finanzunternehmen bauen ihre Standorte in Deutschland stark aus, weil sie hier besonders leistungsstarke Hochschulabsolventen finden. Dies ist ein Qualitätssiegel für den Standort Deutschland. Zudem wird so eine neue Wettbewerbssituation geschaffen, die gut ist für unsere schlauen Köpfe. 

Die Autoren

Sebastian Litta hat Verwaltungswissenschaften in Harvard studiert und arbeitet bei QuantCo, wo er unter anderem das Recruiting verantwortet. Beim Stifterverband engagiert er sich im Netzwerk Junger Unternehmen und ist Mitglied im Landeskuratorium Berlin-Brandenburg.

Marvin Lob studiert nach einem VWL-Bachelor in Bonn seit 2023 Statistik an der ETH Zürich und arbeitet als Werkstudent im Recruiting von QuantCo. 

Der Arbeitsmarkt ist ein Bewerbermarkt geworden: Bewerber können sich immer häufiger ihren Arbeitgeber aussuchen, denn die Anzahl der MINT-Studierenden in Deutschland nimmt aktuell nicht zu. In diesem neuen Bewerbermarkt ist es schwieriger geworden, den tatsächlichen Fachkräftemangel zu quantifizieren. Die Anzahl der offenen Stellen ist ein ungenauer Indikator für den Fachkräftemangel, da Unternehmen Anreize haben könnten, möglichst viele offene Stellen zu melden, um sich unter anderem als wachstumsstark zu präsentieren oder um „auf Vorrat“ einzustellen.

„Die besten Fachkräfte wollen dort arbeiten, wo die besten Fachkräfte bereits arbeiten. Hat ein Unternehmen erst einmal hundert mittelmäßige Softwareengineers eingestellt, wird ein leistungsstarker Informatikabsolvent dort in der Regel nicht mehr arbeiten wollen.“

Sebastian Litta und Marvin Lob

Was sollte Unternehmen also tun, um im kommenden Jahr 2025 mehr leistungsstarke Fachkräfte zu finden und einzustellen? 

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Wie kann Deutschland angehende MINT-Fachkräfte im Land halten? 

Empfehlung 1: Vergütung 
Höhere Gehälter sind ein wirksames Mittel gegen den Fachkräftemangel. Für die leistungsstärksten Absolventen der Informatik, Statistik, Mathematik, Physik, Ingenieurwissenschaften oder Ökonometrie sind Einstiegsgehälter von 100.000 Euro nach dem Bachelor oder Master keine Seltenheit mehr. Für Promovierte sind es eher 150.000 Euro, bei besonders herausragenden Publikationen auch 250.000 bis 350.000 Euro als Einstiegsgehalt (Gesamtvergütung). Für diese Gehälter müssen die deutschen Absolventen auch nicht mehr wie früher an Eliteunis im Ausland studiert haben, die entsprechenden Unternehmen sind seit einigen Jahren auch in München, Karlsruhe, Bonn, Tübingen oder Berlin auf dem Campus unterwegs.

Empfehlung 2: Transparenz 
Da Deutschland bei Steuern, Sozialabgaben und Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen deutlich unattraktiver ist als viele andere OECD-Länder, müssen Arbeitgeber hier eher noch höhere Bruttogehälter zahlen. Top-Absolventen aber leisten viel, fünf von ihnen erreichen mehr als 50 mittelmäßige Fachkräfte und lohnen sich damit auch finanziell für viele Arbeitgeber. Durch die in Zukunft immer häufiger gesetzlich geforderte Vergütungstransparenz bereits bei der Stellenausschreibung wird das Gehalt eher noch wichtiger werden. Eine steigende Anzahl Fachkräfte wird sich gar nicht mehr bewerben, wenn die oben genannten Gehälter nicht als Möglichkeit angegeben werden.

Empfehlung 3: Kollegen
Die besten Fachkräfte wollen dort arbeiten, wo die besten Fachkräfte bereits arbeiten. Hat ein Unternehmen erst einmal hundert mittelmäßige Softwareengineers eingestellt, wird ein leistungsstarker Informatikabsolvent dort in der Regel nicht mehr arbeiten wollen. Das heißt, Unternehmen müssen Nein sagen zu mittelmäßigen Fachkräften.

Empfehlung 4: Recruiting 
Viele dieser leistungsstarken Fachkräfte bewerben sich nicht auf eine Stellenanzeige, sondern müssen gefunden und kontaktiert werden. Arbeitgeber, die an den Universitäten präsent sind, Stipendien oder attraktive Praktika anbieten, haben einen großen Vorteil. (An einer typischen deutschen Universität gibt es 20.000 Studierende, aber nur 200 Deutschlandstipendien. Warum? Das einzige privatwirtschaftliche Unternehmen, das den Bundeswettbewerb Mathematik 2023/24 unterstützt, ist ein amerikanisches Finanzunternehmen. Warum kein deutsches Unternehmen? Wenn Fachkräfte wirklich fehlen, warum geben Unternehmen in Deutschland dann im Schnitt weiterhin nur 5.500 Euro für das Recruiting eines neuen Mitarbeiters aus und nicht beispielsweise 25.000 Euro?) Recruiting ist das neue Sales, da es sich um einen Bewerbermarkt handelt. Gute Recruiter sind Gold wert, das heißt, mindestens 100.000 Euro Einstiegsgehalt. Sind sie an den besten Universitäten gut vernetzt, sind sie auch deutlich mehr wert.

Empfehlung 5: Extras
Attraktive Büros in einer attraktiven Stadt und die Möglichkeit, ab und zu von zu Hause zu arbeiten spielen ebenfalls eine Rolle für die Fachkräftegewinnung. Leistungsträger wollen flexibel entscheiden, wann sie wieviel arbeiten, am Ende zählt das Ergebnis.

Allianz für Lehrkräfte (Visual zum Erklärvideo)
Video: Die Allianz für MINT-Fachkräfte

Fachkräftemangel? Welcher Fachkräftemangel?

Der Text basiert auf einem Beitrag für den FuE-Workshop „Fachkräftemangel? Welcher Fachkräftemangel?“, zu dem die Wissenschaftsstatistik im Stifterverband Anfang November 2024 geladen hatte, um über die Herausforderungen des Fachkräftemangels zu diskutieren. 

In der Allianz für MINT-Fachkräfte  der Zukunftsmission Bildung geht der Stifterverband gemeinsam mit Partnern diese Herausforderungen ebenfalls an.

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